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Interview mit Simon Hayhurst

«Wir lassen keine Kunden hängen»

Simon Hayhurst ist bei Adobe leitender Produktmanager für digitales Video und Audio und spricht über die Übernahme von Macromedia, über die Zukunft von PDF und Flash sowie die vermeintlich grössere Kreativität des Konkurrenten Apple.

Matthias Schüssler: Wie weit ist die Übernahme von Macromedia fortgeschritten?

Simon Hayhurst: Als Unternehmen weit – auf Produktseite natürlicherweise noch nicht so weit. Obwohl wir die Übernahme im April 2005 angekündigt hatten, konnten wir erst im Dezember mit der Detailplanung beginnen, als alles unter Dach und Fach war. Die Kombinationsmöglichkeiten von Flash mit Adobe-Technologien sind aber sehr spannend.

Wie sehen Ihre Ideen konkret aus?

Bei Adobe gibt es den Grundsatz, nicht über zukünftige Produkte zu sprechen. Ich kann Ihnen aber etwas zu unserer Vision sagen. Wir haben die Entwickler von Flash und Dreamweaver mit den Adobe-Entwicklungsteams für digitales Video und Audio zusammengebracht. Das neue Team wird vom stellvertretenden Generaldirektor Jim Gerard geführt, der selbst 15 Jahre Erfahrung in der Videoindustrie hat.
Wir haben diese beiden Bausteine zusammengefügt, weil Produkte wie Premiere dazu eingesetzt werden, eine Geschichte zu erzählen. Bei Flash ist das ebenso. Flash ist die Kunst des interaktiven Geschichtenerzählens. Wir nennen es «lean forward storytelling» – man lehnt sich vor, wenn man aktiv das Universum eines Flash-Films erkundet, während man im Kino zurückgelehnt die Geschichte verfolgt, die George Lucas erzählt. Es scheint uns ein spannendes Projekt, unsere Werkzeuge zum Geschichtenerzählen, die wir in Adobe Production Studio haben, mit der interaktiven Welt von Flash zu verbinden. Macht das Sinn für Sie?

Es macht Sinn, aber es ist überraschend. Viele Beobachter vermuten, dass Adobe Macromedia wegen des Zugangs zu Grossunternehmen wie Banken oder der Chemieindustrie gekauft hat.

Es gibt viele Produkte von Macromedia, die sich um Flash herum gruppieren. Es gibt eine Reihe von Produkten für die Kommunikation in grossen Unternehmen. Ich denke an Breeze oder den Adobe Form Server. Auch da ist die Zusammenführung im Gang.

Geht es um ein Zusammenführen oder um eine Verschmelzung? Werden die Macromedia-Produkte in den Adobe-Produkten aufgehen?

Ich sehe die Zusammenführung der beiden grossen Unternehmen als Heirat. Das Ziel einer Heirat ist sicherlich nicht, am Schluss zwei identische Personen zu haben. Beide bringen ihre Stärken ein, um gemeinsam stärker zu sein, als es jedes für sich wäre. Die Herausforderung liegt darin, das möglich zu machen. Dabei operieren wir nicht mit «Einzelteilen», sondern streben die Vereinigung der beiden Unternehmen an, bei der wir das Beste von beiden Partnern zusammenbringen.

Haben Sie schon entschieden, ob sich GoLive als Webeditor durchsetzen wird oder ob es Dreamweaver sein wird? Was in all denjenigen Bereichen passieren wird, wo es das gleiche Produkt gewissermassen zweimal gibt?

Unsere Richtschnur sind die Kunden. Dreamweaver hat Millionen von Benutzern. Wir werden diese Leute nicht im Regen stehen lassen, nur weil wir den Hersteller des Produkts übernommen haben. Überall, wo es überlappende Technologien gibt, entwickeln wir alle dazugehörigen Produkte weiter, prüfen aber gleichzeitig die möglichen Synergien. Wichtig ist uns, dass beide Anwendergruppen profitieren oder zumindest keine Anwendergruppe über Gebühr benachteiligt wird.

Wie steht es um Freehand? Werden Sie dieses Programm demnächst über Bord werfen?

Es gibt viele Spekulationen darüber, welches Produkt mehr User und mehr Stosskraft hat. Wir haben noch keine Entscheide gefälllt.

Kann ich mir die Marktanteile der einzelnen Produkte ansehen und weiss danach Bescheid?

Nein. Wir werden kein Produkt unmittelbar einstellen. Wir werden aber auch nicht alle Produkte so behalten, wie sie vor der Übernahme waren. Das wäre nicht die beste Art, unsere Ressourcen einzusetzen. Die Frage ist, wie wir die Produkte weiterentwickeln, damit es für die Benutzer Sinn macht und die Produkte konkurrenzfähig bleiben.

Wie steht es um die Beziehung von PDF zu Flash? Wir sahen Acrobat 3 D – geht es weiter in die Richtung?

Ich werde nicht über spezifische Pläne reden, aber wenn ich mir die beiden Produkte ansehe, dann stelle ich einige Gemeinsamkeiten und markante Unterschiede fest. PDF ist ein leistungsfähiges Container-Format für statische Inhalte. Flash ist dynamisch. Man kann sich sehr gut vorstellen, dass Flash in ein PDF eingebettet wird, aber es ist wichtig, zu wissen, dass PDF kein «gestreamtes» Format ist. Es ist eine Hülle, ein Briefumschlag. In diesen Umschlag verpacke ich Informationen und kann den Umschlag mit einer Adresse versehen. Ich kann einen sicheren oder unterschriebenen Umschlag verwenden, aber es ist und bleibt ein Behälter, ein Gefäss.

Am Horizont taucht das Web 2.0 auf, das uns die Webdienste bringen soll, die man während der Dot-Com-Euphorie versprochen hat. Bei den neuen interaktiven Webanwendungen wird womöglich niemand mehr nach PDF schreien. War das der Grund für die Übernahme von Macromedia?

Ich glaube nicht, dass die Zukunft entweder PDF oder Flash sein wird. Die Zukunft ist PDF und Flash. Die beiden bedienen unterschiedliche Bedürfnisse. PDF ist ein gutes Vehikel für Geschäftsdaten. Flash ist wiederum ein hervorragendes Vehikel, um das Maximum aus der Entwicklung des Internets herauszuholen. Das Voranschreiten des Internets – die stetige Steigerung der Bandbreite – ist nicht aufzuhalten.

Wird diese Entwicklung auch die Arbeit am Computer verändern? Die Website snapmania.com bietet einen Dienst zur Bildbearbeitung. Man kann seine Bilder hochladen und online im Browser bearbeiten. Man benötigt keine Software. Ist das eine ernst zu nehmende Entwicklung oder Science-Fiction?

Hosted Applications sind sicherlich keine Sciencefiction. In den Siebzigerjahren, mit den 3270-Terminals von IBM, lebte die Anwendung auf einem zentralen Server und der Anwender sass an einem dummen Terminal. Die Webdienste scheinen für die breiten Anwender ein neues Phänomen zu sein. Aus Sicht der IT muss man sagen, dass wir das schon gesehen haben.
Adobes Mission ist, Werkzeuge bereitzustellen, die es den Leuten erlauben, kreativ zu sein. Vielleicht wird unsere Software in einigen Jahren gehostet werden. Das wird aber nicht von heute auf morgen geschehen.

Welche Benutzer sind die wichtigsten: die in grossen Unternehmen, die Kreativ-Profis oder die Heimanwender?

Ich bin der leitender Produktmanager für digitales Video und Audio und ich wache jeden Morgen mit dem Vorsatz auf, professionelle Werkzeuge für Kreativ-Profis zu entwickeln. Natürlich wollen wir auch in den Augen unserer Consumer-Anwender gute Arbeit leis­ten. Als Unternehmen hat Adobe sich der Aufgabe verschrieben, den Kunden bei der Kommunikation zu helfen. Und zwar allen: Geschäftsanwendern, Profis und Privatbenutzern.

Ist dementsprechend die Unterscheidung gar nicht mehr so wichtig? Beispielsweise führt Apple vor, dass pfiffige Heimanwenderprodukte auch für Profis attraktiv sind.

Der Unterschied zwischen Profi und Consumer ist tatsächlich kleiner, als man vermuten könnte – jeder mit einer kreativen Ader will die Ideen in seinem Kopf möglichst gut umsetzen. Mit Video, Fotografie oder einem anderen Medium. Es gibt womöglich Unterschiede beim Talent, aber ich habe Amateuranwender mit riesigem Talent getroffen. Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass Profis die Software jeden Tag verwenden. Die Bereitschaft zum Lernen ist grösser. Consumer verwenden das Produkt am Abend, wenn die Kinder im Bett sind, und typischerweise ohne viel Lernbereitschaft. Wir stellen uns die Frage nach Zielgruppen häufig. Es wäre einfacher, könnten wir ein Produkt für alle machen.

Bei Apples Heimanwenderprodukten gefällt die intuitive Benutzung auch den Profis. Müssten die professionel-len Produkte nicht mehr davon profitieren? Profi-Videoschnittprogramme sind nach wie vor extrem komplex.

Wenn ich ein Pro-Tool wie Premiere Pro nehme und einige Funktionen weglasse, habe ich noch kein Produkt, das für Consumer intuitiv genug wäre. Wenn ich von Premiere Elements ausgehe und daraus eine Pro-Version baue, verschwende ich die Zeit der Profi-Anwender. Als Beispiel soll die Farbkorrektur dienen: Ein Consumer verlangt von seiner Software: «Mach mir die Farben schöner!» Der Profi hingegen will präzise Kontrolle über Mitteltöne, über die Lichter, er will gezielt die Ausleuchtung des Gesichts beeinflussen, ohne die Basisfarben zu verändern. Da gibt es keinen gemeinsamen Nenner.
Es gibt bei unseren Kunden die Kategorie der «Prosumer» (Profi-Amateure). Das sind Leute, die ihrem Hobby mit Leidenschaft frönen. Sie lassen die Heimanwenderprogramme hinter sich und kaufen die Profiwerkzeuge, die sie auch beherrschen.

Ein Bekannter, der sein Geld mit Video­produktionen verdient, sagt mir stets, er brauche nur einen Bruchteil der Features der Schnittsoftware. Was kann an Premiere verbessert werden?

Etwas Ähnliches wurde vor zehn Jahren über Photoshop gesagt. Die meisten Profi-Anwender verwenden vielleicht zehn Prozent der Funktionen, aber es ist stets unterschiedlich, welche zehn Prozent es sind. Wenn keine Profis mehr zu mir kommen und mir sagen, sie müssten gegen die Abgabetermine kämpfen, dann haben wir möglicherweise das Ende der Fahnenstange erreicht. Mit den Tools von heute können sie alles erreichen – wenn sie genug Zeit haben. Wir könnten mehr tun, damit die Anwender Zeit sparen.

Dürfen wir auf AfterEffects Elements hoffen?

Das wäre ein zukünftiges Produkt ... Lassen Sie mich eine philosophische Frage stellen. Wäre es nicht besser, statt neue Elements-Produkte zu veröffentlichen, bestehende Elements-Produkte mit Funktionen auszurüsten, die vermutlich nützlich sein könnten?

Als Apple mit Motion auf den Markt kam, dachten Sie nicht: «Oh, warum ist uns das nicht zuerst eingefallen?»

Es ist nicht gesagt, dass sie zuerst daran gedacht haben. Als Produktmanager muss ich mir die Frage stellen: Von all den vielen Dingen, die ich tun könnte, was sind die Dinge, die ich tun sollte? Ich habe eine Entwickler-Kapazität an Entwicklungsleistung – wie fokussiere ich meine Energie? Auf welche Kunden höre ich? Auf die Profis, die Consumer, die Prosumer?

Aber als Anwender fragt man sich trotzdem: Warum hat Adobe nicht zuerst daran gedacht? Die Ankün­di­gung zu Lightroom kam einige Wochen nach Aperture.

Die Produktbesprechungen zu Light­room, die ich gelesen habe, hatten einen gemeinsamen Grundtenor: Adobe hat einen Treffer gelandet. Vielleicht ist es nicht entscheidend, Erster zu sein? Vielleicht ist es besser, drei Monate später im Markt zu erscheinen, aber mit einem qualitativ besseren Produkt. Apple hat ohne Zweifel einen starken «Brand». Adobe auf der anderen Seite hat den Ruf, genau das auszuliefern, was kreative Köpfe brauchen.

Schliessen wir den Kreis: Wie geht die Macromedia-Übernahme weiter?

Historisch gesehen kamen wichtige Produktveröffentlichungen im Rhythmus von etwa 18 Monaten. Da wir zwei grosse Entwicklungsabteilungen zusammenbringen müssen, wird es einige Zeit dauern, bis die Entwicklungsrhythmen von korrelierenden Technologien synchronisiert sind. Wir zeigen heute die «Querverbindungen» zwischen AfterEffects und Flash und führen vor, wie man seine Flash-Filme mit AfterEffects verbessern kann. Da gibt es starke Synergien.

Wie gut gehen die Adobe-Kultur und die Macromedia-Kultur zusammen?

Es gibt in den USA bei den Indianern einen Brauch. Immer, wenn sie auf eine lange Reise gingen, nahmen sie eine Hand voll Sand aus der alten Heimat mit. Der Sand repräsentierte alle Dinge, die sie nicht verlieren wollten – wo sie waren, wer sie waren.
Auch die Mitarbeiter der «alten» Adobe und von Macromedia tragen den indianischen Sand mit sich ... Dinge, die wir nicht verlieren wollen, sondern in die «neue» Adobe einbringen werden.